Eine andere Natur
Zu den Zeichnungen
Angelika Freitag ist Bildhauerin und Zeichnerin. Auch wenn mittlerweile die Zeichnungen überwiegen, so sind beide Medien doch gleichberechtigt und für sich autonom. Die Berührungen und Parallelen betreffen die Sujets und die Themen, die Konzentriertheit der Darstellungen in mitunter spielerischer Anverwandlung und die genaue Beobachtung. Im Zentrum steht die Darstellung von (Säuge-) Tieren, oft allein. In den letzten Jahren nur selten in Verbindung mit Menschen, bei den Zeichnungen eingefügt in den Bildraum und wie selbstverständlich im Geschehen. Zwischen Anschaulichkeit und freier Findung stellen sich narrative Momente ein: zeichenhaft und als Möglichkeit, offen in der Lesbarkeit. Sämtliche Arbeiten sind ausformuliert, die Zeichnungen sind in entschiedenem Duktus vorgetragen und reichen über alles Skizzenhafte hinaus. Und den Plastiken ist eine Präsenz und Konkretheit eigen, mit der sie im Realismus angesiedelt sind. Dabei verfügen sie über ein komplexes Verhältnis von Oberfläche und Körper, das auf das Zueinander von Innen und Außen und auf transzendente Aspekte verweist und den Status der reinen Tierdarstellung, wie dieser in der Kunstgeschichte überliefert ist, hinter sich lässt.
Dazu trägt der Umgang mit den Materialien bei. Angelika Freitag realisiert ihre Plastiken häufig aus bedruckten oder vernutzten Papieren, die, über einem Drahtgerüst in Form gesetzt, eine Lebendigkeit, vielleicht auch Geschichtlichkeit evozieren. Die Oberfläche tritt als Haut auf, fragil und andererseits elastisch und stabil, durchlässig und vermittelnd mit dem Wesen der Geschöpfe. Die Darstellungen selbst verhalten sich zwischen Bewegung und Innehalten, und zumal in der Vereinzelung der Figur liefern sie Hinweise auf die Existenz: auf Kreatürlichkeit und psychische Einzigartigkeit.
Die Zeichnungen nun führen dies fort. Gegen die haptische Beschaffenheit der Skulpturen setzen sie die Distanz, schon die Frage nach der Größe und nach ihrem Stand in der Umgebung stellt sich hier anders. Sie wechseln zwischen filigraner Miniatur und ausgreifender Schilderung, humorvoller Andeutung und rätselhafter Konstellation, und sie handeln mit dem moderaten Format und dem widerständigen Bildträger. Sie wahren immer eine Bescheidenheit im Verhältnis zum Betrachter und sind doch reich in ihren Erscheinungen und Möglichkeiten, sie entwickeln sich über der neutralen Fläche, im naturhaften Prospekt oder repräsentieren einen entgrenzten Raum. Die Schichtungen in die Tiefe sind lediglich angedeutet, in der Setzung der Figuren verortet sich ein Geschehen, welches doch ortlos ist. Angelika Freitag verdichtet, arbeitet zugleich mit dem weißen Papier und der Positionierung auf diesem, in Bezug auf die Ränder. Mit den Zeichenmitteln variieren die Verfahren des Auftrags, ebenso wie die Bildträger selbst. So befinden sich bei einzelnen Arbeiten transparente Klebefolien über dem Blatt, die selbst Spuren mitbringen. - Schon das, teilt mit, dass die Zeichnungen (ebenso wie die Plastiken) jeweils für sich, in ausschließlicher Hinwendung und Aufmerksamkeit realisiert und bildhaft begriffen sind.
Dabei lassen sich verschiedene Konstellationen unterscheiden. Mitunter ist ein Tier auf dem weißen Blatt alleine gegeben, wobei der Umraum ganz entfallen kann. Oder es liegen korrespondierende Situationen zwischen Tieren oder Tier und Mensch vor. Bei anderen Blättern sind Tiere von nestartigen Formationen umpfangen oder frei in einen landschaftlichen Kontext gesetzt, welcher das eine Mal bestimmt, das andere Mal abstrakt, also mehr Ahnung als Natur ist. Die Darstellungen können in lockerer, wiederholt ansetzender Kontur entwickelt sein oder über geschlossene und unterschiedlich dichte Flächen - zumeist in Schwarz - verfügen. Insgesamt dominieren erdige Töne über dem Weiß, welches Maß aller Dinge bleibt. Starkfarbigkeit und Lokalkolorit finden sich hier nicht. Schon darin bleiben die Darstellungen fern von jedem Naturalismus.
Die Tiere selbst bewahren eine Zuständlichkeit im Zusammenwirken von Individualität und Typik, Zeichenhaftigkeit und Direktheit. Sie verweisen stets noch auf ein Anderes und verhalten sich bisweilen aktiv, überwiegend aber passiv. Dazu trägt bei, dass Angelika Freitag das Wesenhafte und das Wesentliche der Anatomie souverän zum Vorschein bringt ohne darauf zuviel Nachdruck zu legen. Und wie der Umgang mit den Mal- und Zeichnungsmitteln häufig experimentell ist, so vermitteln die Darstellungen selbst, ihr innerbildliches Geschehen, eine explizite Offenheit: zwischen Statik und Vitalität, Selbstverständlichkeit und Erstaunen. Zum bedenkenswerten Charakter dieser Blätter trägt weiterhin bei, dass sich Angelika Freitag solchen Tieren zuwendet, die den Menschen vertraut sind oder doch vertraut scheinen. Von Anfang an nimmt das Pferd eine besondere Rolle ein; Angelika Freitag hat es in verschiedenen Posen und Situationen dargestellt, bei denen der kulturgeschichtliche Hintergrund mitgedacht ist. Davon und von der Zuteilung von Attributen aber lösen sich ihre Schilderungen augenblicklich. Und auch wenn sich im Laufe der Jahre das Spektrum der Tierarten erweitert hat, so geht es nicht um symbolische Züge und nicht um Eigenschaften parallel zum Menschen. Entsprechend ist die Beziehung zu diesem auf den Blättern kaum weiter thematisiert. Untersuchen könnte man nun, wie sich die Tiere im Bildgeschehen verhalten, sich in Bewegung setzen, aufgerichtet sind oder liegende Positionen einnehmen. Wie sie auf Distanz gerückt sind, und ob sie den Kontakt zum Betrachter herstellen oder sich, auf sich bezogen, wie auf einer Bühne verhalten und vielleicht Stolz vortragen - auf all das kommt es nur bedingt an. Vielmehr geht es Angelika Freitag um Vorstellungen des Kreatürlichen und um die Visualisierung existentieller Erfahrungen in Bildern, die zugleich auf Zwischentöne und auf ein Anderes verweisen.
Generell, Angelika Freitag hält Erscheinungsweisen und Szenen fest, denen Zeitlosigkeit eigen ist. Als Sujets sind die Tiere angemessen, Hinweise auf unsere urbane Zivilisation kommen so gut wie nie vor. Hingegen vertieft Angelika Freitag die Beobachtung aber auch Erfindung grundsätzlicher Phänomene von Dasein und Bewußtwerdung. Sie schildert dies in anschaulichen und gleichzeitig ganz eigenen Bildern. Und so wirklich, vielleicht eingängig ein Teil der Motive ist, so ungesichert und gegenläufig bleibt der andere, schon innerhalb eines Bildes treffen verschiedene Wirklichkeitsebenen zusammen. Einerseits ist da eine Sicherheit, in dem was man sieht, andererseits treten Erscheinungsformen auf, die das Geschehen wieder in Frage stellen. Stabiler Grund und Haltlosigkeit durchdringen sich. Tatsächlich wechselt schon die Darstellung der Tiere von Mal zu Mal. Einmal ist ihr Körper ausdifferenziert, dann wieder knapp umrissen, oder er ist in das Dunkel einer Silhouette gefasst. Daneben entstehen nüchterne Beschreibungen einzelner Tiere, von der Seite, aber auch frontal: Erst recht da geht es um ein Dasein in einer Welt, die mit verschiedenen Situationen des Gewöhnlichen und Besonderen konfrontiert und Erkenntnisprozesse initiiert. Dass Angelika Freitag dafür auch Bilder des Humorvollen und des leichtfüßig Verspielten findet, ist eine Qualität ihrer Arbeiten, die anbieten, nicht einfordern.
Eine neuere Werkgruppe zeigt Schlangen, die sich über das Querformat strecken, die sich ringeln und schleichend zu bewegen scheinen: in der Fläche und über dieser. Bei allem Charakteristischen in der eindringlichen Beobachtung handelt es sich stets um Individuen. Dies teilt das Faktum der Serie mit, und dazu trägt die Bannung mit Acryl, Lack und Ölfarbe bei, die plastische Erhebungen bewirkt und eine Oberfläche mit Schründen, einer unregelmäßigen, noch fließenden Textur erzeugt. Die Lebhaftigkeit und Leiblichkeit der Gestalt aber lässt ihre Beseeltheit erkennen, ganz unspektakulär und sehr selbstverständlich, vermittelt mit hohem Respekt und großer Sensibilität. In diesem Sinne sind dies Chiffren für unsere Existenz, heute, jetzt.
Thomas Hirsch 2009